Siegel der Schatten von heavenfly ================================================================================ Kapitel 19: Rätsel ------------------ 19. Rätsel Es war die zweite Stunde Geschichte der Zauberei bei Yami und Yuugi und dieses Mal hatten die beiden Duellanten ein Abbild der großen Palastbibliothek in Theben als Ort ausgesucht. Umgeben von Regalen und Tischen voller Folianten, Papyrusrollen und Steintafeln arbeiteten die Ravenclaws, Hufflepuffs, Gryffindors und Slytherins an ihren Themen. Yuugi hatte mit Yamis Zustimmung den Unterricht dieses Mal übernommen und den Hogwartsschülern nach einigen einleitenden Worten Aufgaben ausgeteilt. In gemischten Gruppen – was besonders die Slytherins nur mit Murren akzeptiert hatten – bearbeiteten die Siebtklässler nun Fragen nach den Jahreszeiten und deren Bedeutung für die Ägypter in landwirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Außerdem sollten sie herausfinden, welche Götter für welche Jahreszeit oder Tageszeit standen, was sie vollbringen sollten und in welcher Form sie angebetet wurden. Eine Gruppe erforschte ganz allgemein die Bedeutung von Tag und Nacht, Sonne, Mond und den Gestirnen für die Bewohner Kemets. Nach einer Stunde stillen Arbeitens ließ Yuugi die Ergebnisse vortragen und beantwortete Fragen. Alles in allem schienen die Schüler interessiert zu sein und wirkten nicht gelangweilt, weil sie nur aus Büchern Wissen heraussuchen sollten und nicht zaubern durften. Es störte sie auch nicht, dass es sich dabei nicht nur um magische, sondern auch um Muggelbücher handelte, die Yami und Yuugi selbst in ihrem Studium benutzten und daher ausgesucht hatten. Am Ende der Stunde war sich Yuugi sicher, dass zumindest der überwiegende Teil der Schüler begriffen hatte, warum es für die Ägypter so wichtig gewesen war, an Götter zu glauben, denn wie viel konnte mit dem damaligen Wissen nur durch göttliches Wirken erklärt werden. Und die meisten hatten auch begriffen, dass diese Götter – oder diese mächtigen Magier, je nach Standpunkt – durchaus nicht nur das Volk ausgenutzt hatten, sondern auch Segen brachten und Gutes für die Menschen am Nil taten. Somit war die Frage aus der ersten Stunde auch mit Fakten beantwortet und die 7.-Klässler hatten nun ein besseres Verständnis für den Glauben der Ägypter. Und Yami und Yuugi wussten, dass nur dadurch letztendlich ein Verständnis für ihre Schattenmagie erreicht werden konnte. Nur wenn die Schüler begriffen, wie wichtig Licht und Dunkelheit für die Ägypter waren und wie anders deren Ansichten über Götter, das Gute, das Böse und Licht und Schatten im Vergleich zu den Ansichten der Zauberer waren, dann konnten sie auch begreifen, das Schatten nichts Böses bedeutete. Aber Yuugi und seine dunkle Seite hatten noch ein anderes Anliegen gehabt, als sie diese erste richtige Unterrichtsstunde geplant hatten. Die letzten Diskussionen waren verstummt und jeder wusste, dass augenblicklich wieder der hallende Ton erklingen würde, der das Ende der Stunde mitteilen sollte. Doch Yuugi hob kurz die Hand und trat vor die Tische der Schüler. „Die Stunde ist zwar fast um, aber ich habe noch eine Frage. Sie beschäftigt sich allerdings weniger mit Ägypten, sondern vielmehr mit Ihrem Glauben – oder eher Ihren Traditionen. Ich habe in Ihrer Bibliothek einige Bücher durchsucht, aber so richtig fündig bin ich leider nicht geworden. Ich habe nur eine Theorie, hätte sie aber gern bestätigt.“ Die Schüler hörten auf, ihre Taschen zu packen und blickten Yuugi nun abwartend an und dieser lächelte leicht in die Runde. „Wie Sie heute gesehen haben, spielte bei den Festen, Ritualen oder den Gebetszeremonien der Ägypter die Tageszeit eine wichtige Rolle. Die zentrale Rolle hatte meist die Sonne und der Tag und die Wiedergeburt des Lichtes am Morgen wurden immer aufs Neue gefeiert. Wie aber ist das bei Ihnen? Was ist wichtiger, Sonne oder Mond, Tag oder Nacht?“ Verblüfft blickten die Zauberer und Hexen sich gegenseitig an und einige zuckten nur unwissend mit den Schultern. Andere überlegten angestrengt und nur eine Handvoll meldete sich – die meisten davon Ravenclaws, aber auch Draco Malfoy und Hermine Granger. Yuugi war darüber nicht wirklich überrascht. Er hatte schon im Verlauf der Stunde das Wissen der jungen Gryffindor und des blonden Slytherins bemerkt und das Haus Ravenclaw galt ja immerhin als das, welches die klügsten Köpfe aufnahm. Yuugi forderte mit einem Kopfnicken einen Ravenclaw zum Sprechen auf und dieser meinte belehrend: „Da die meisten traditionellen Feste heute nicht mehr gefeiert werden, ist es nicht verwunderlich, dass die Bücher keine ausreichende Antwort geben. Aber Feste wie Samheim, Beltane, Lughnasad oder Yule werden Nachts oder zum Abend gefeiert. Also ist die Nacht wichtiger.“ Viele der Hände waren heruntergegangen, doch eine Ravenclaw reckte noch immer die Rechte empor und Yuugi nickte ihr zu. „Aber bei den meisten dieser Feste wurde die Sonne gefeiert, also ist sie wichtiger. Wie bei den Ägyptern wurde sie als Lebensspenderin verehrt. Zu Yule feiert man, dass die Tage nun wieder länger werden und die Zeit der Dunkelheit und des Winters vorbei ist und Imbolc feiert das erwachende Leben im Frühling, was auch nur durch die Sonne möglich ist. Also ist es wie bei den Ägyptern der Tag, der höher gewertet werden muss.“ Bevor die Ravenclaws in heftige Diskussionen ausbrechen konnten, wandte sich Yuugi Draco zu, der nun wieder leicht die Hand hob. Dieser meinte ruhig und unbeeindruckt von dem geflüsterten Streit der beiden Ravenclaws: „Die meisten Zaubertränke werden entweder bei Nacht angesetzt oder fertig gestellt oder es kommen entscheidende Zutaten bei einer bestimmten Mondphase hinein. Es gibt nur sehr wenige Zaubertränke, deren Rezeptur nach der Sonne ausgerichtet ist.“ Mehr sagte der Slytherin nicht, aber Yuugi nickte leicht. „Was Sie beide sagten“, damit nickte Yuugi den Ravenclaws zu, „habe ich ebenfalls herausgefunden und daher wusste ich nicht so recht, was die richtige Antwort ist. Aber Mr. Malfoy hat einen entscheidenden Punkt vorgetragen. Für Sie als Magier mögen heute die alten keltischen Feste nicht mehr so wichtig sein, seit die Muggelfeste in Ihr Leben getreten sind, aber Zaubertränke sind eine der wichtigsten Künste, soviel haben Yami und ich schon bemerkt. Also denke ich, dass wohl eher die Nacht, der Mond und die Dunkelheit in Ihrer Tradition und in Ihrer Magie wichtiger sind. Ich danke Ihnen, dass Sie mir diese Frage beantworten konnten.“ Nun erklang tatsächlich der Ton, der die Pause einleitete und mit einem letzten Nicken entließ Yuugi die Klasse und verschwand selbst mit Yami durch einen zweiten Ausgang in Professor Binns Arbeitszimmer – sofern der Geist noch eines benötigte. Die Schüler packten nun ihre Sachen zusammen, doch nicht wenige blickten sich verwundert an, denn ihnen war nicht entgangen, das Yuugi ihnen nicht gesagt hatte, warum er diese Frage beantwortet haben wollte. Was brachte es einem Muggel, derartiges zu wissen? Das konnte doch nicht nur bloße Wissbegierde sein. +-+-+-+-+-+ Yuugi und Yami ahnten, dass sie die Schüler mit ihrer Frage neugierig gemacht hatten, doch das war ihnen momentan herzlich egal. Besonders Harry und seine Freunde würden erneut misstrauisch werden und wenn Dumbledore nur halb so schlau war, wie beide ihn einschätzten, beobachtete auch er ihren Unterricht und wunderte sich nun über den Grund ihrer Frage nach der Bedeutung von Tag und Nacht in seiner Magie. Halb hofften Yuugi und der ehemalige Pharao sogar, dass der Schulleiter ihren Unterricht aufmerksam verfolgte, konnten sie so doch auch ihn auf die kommenden Enthüllungen vorbereiten und ihm genau wie den Schülern indirekt zeigen, dass Schatten nicht immer böse sein mussten. Denn dass bald eine Entscheidung getroffen werden würde, war klar. Odion hatte sie am vergangenen Abend kontaktiert und um ein Treffen in London gebeten. Wie es schien hatten Bakura und Marik mit Hilfe ihrer Milleniumsgegenstände einige Todesser aushorchen können und erstaunliches entdeckt. Yami und sein Aibou zweifelten nicht daran, dass schon bald die Stunde gekommen war, in der sie ihre Magie nutzen konnten und mussten und dann würde es sicher nicht mehr lang dauern, bis sie sich den Zauberern offenbaren mussten. Noch war es aber nicht soweit. Noch konnten sich all die misstrauischen Zauberer und Hexen in Hogwarts keinen Reim auf sie beide machen. Noch waren sie nicht sicher, ob hinter Yami und Yuugi mehr steckte, als das Äußere vermuten ließ. Misstrauen allein half nicht, das Geheimnis der beiden Duellanten zu lüften und daher fühlten diese sich momentan noch sicher genug um ihre eigenen Probleme anzugehen. Und eins davon war die Kartusche. Das Rätsel hatten sie ja schon in der Nacht nach ihrem Besuch bei Hagrid übersetzt, doch der Bedeutung waren sie nur schrittweise näher gekommen. Immer wieder hatten sie sich darum bemüht, denn Sinn der Worte auf der Rückseite der Kartusche zu entschlüsseln und nun endlich hatten sie alle Puzzleteile zusammen. „Wie wir gedacht haben. Für die Ägypter ist die Sonne das wichtigste Symbol und für die hiesigen Zauberer der Mond. Also brauchen wir zum Öffnen der Kartusche die Dunkelheit, während Dumbledore das Sonnenlicht benötigt – jeweils der Spiegel der Macht oder genauer des machtvollsten Symbols.“ Yuugi holte die Kartusche aus dem Schattenreich hervor und besah sich noch einmal die Inschrift. Nachdem sie sich die Worte so oft durchgelesen hatten, tauchten sie wie von selbst vor seinem inneren Auge auf. » Licht und Schatten sind Teil des Lichts. Wahrheit findest du im Spiegel deiner Macht allein. Die Zeit des grauen Übergangs findest du nur durch das gemeinsame Wissen. Die Dunkelheit ist das Gefängnis des Lichts. Bis das Siegel gebrochen wird, sind beide nie getrennt. « Nachdenklich blickte der junge Mann seinen Geliebten an. Es hatte einige Zeit gebraucht, bis sie sicher waren, das sie zum Öffnen der Kartusche gerade die Schatten brauchten. Ihre Magie wirkte auf den ersten Blick dunkler als die Dumbledores und da es in dem Rätsel hieß, die Wahrheit, also das Innere der Kartusche, würde sich nur im Spiegel ihrer Macht offenbaren, hatten sie anfangs automatisch angenommen, für sie war das Licht der entscheidende Faktor. Doch dann war da diese Passage mit dem gemeinsamen Wissen und das hatte Yuugi und Yami nachdenklich werden lassen. Seit dieser Stunde wussten sie nun sicher, dass es sich gerade anders verhielt und sie die Kartusche eben nur im Schatten öffnen konnten. Doch es gab ein weiteres Detail zu klären: „Was meinst du welche „Zeit des grauen Übergangs“ für uns die richtige ist? Morgengrauen oder Abenddämmerung?“ Yami nahm ihm die Kartusche ab und drehte sie einmal im Licht des trüben Herbsttages, was durch das Fenster in Binns Vorbereitungsraum fiel. Dann ließ er den Gegenstand wieder im Reich der Schatten verschwinden. „Das kniffelige ist, dass man bei solchen Rätseln meist nur einen Versuch hat und wenn man die falsche Wahl trifft, öffnet sich das Objekt entweder nie mehr oder vernichtet sich am Ende sogar. Aber immerhin reden wir hier von einem Rätsel, welches von alten Weisen meines Heimatlandes gestellt wurde und da dort das Morgengebet das wichtigste überhaupt war, würde ich auch auf den Morgen tippen. Außerdem heißt es in dem Rätsel, dass das gemeinsame Wissen nötig ist. Also unser Wissen und das der „hellen“ Magier hier in Hogwarts. Da der Mond für Dumbledore und seine Zauberer wichtiger ist, müsste er sicher zur Abenddämmerung die Kartusche öffnen können, wenn die Zeit des Mondes beginnt. Wir hingegen brauchen den Sonnenaufgang, da die Sonne das Symbol der ägyptischen Magie darstellt.“ Normalerweise waren so mächtige Artefakte, die wie die Kartusche mit einem solchen Rätsel geschützt waren, auch in der Lage, die Magie desjenigen zu spüren, der sie zu öffnen versuchte. Beide konnten nur hoffen, dass das auch für die Kartusche galt, denn sonst hatten sie keine Chance, das Geheimnis zu ergründen. Nur wenn die Kartusche ihre Magie in dem Moment erkannte, in dem sie sie öffnen wollten, würde sie auch das Licht des Sonnenaufgangs als den richtigen Schlüssel akzeptieren. Deshalb war es auch so wichtig, dass sie beide allein und ohne Zeugen den Versuch wagten, was ja bei Morgendämmerung sicherlich gegeben war. Yuugi nickte und ging zurück zur Holztür, die in den Klassenraum führte. „Ich stimme dir zu. Also werden wir morgen zeitig aufstehen müssen, damit wir herausfinden können, was diese Kartusche mit unserer Schattenmagie zu tun hat, obwohl doch damals niemand mehr von deren Existenz gewusst haben dürfte.“ Damit öffnete Yuugi die schwere Tür und trat in den nun leeren Raum um die Bücher einzusammeln, die sie für den Unterricht zur Nutzung bereit gestellt hatten. Als letztes schloss der junge Mann noch das Buch über altägyptische Bauten, welches auf dem Lehrerpult lag. Kaum war das aufgeschlagene Bild der großen Palastbibliothek zwischen den Buchdeckeln verschwunden, als auch Professor Binns Zauber erlosch und Yuugi wieder in einem ganz normalen Klassenzimmer in Hogwarts stand. +-+-+-+-+-+ „Harry!“ Der Ruf war leise und der Angesprochene war schon zwei Schritte in den nächsten Gang hinein, bevor er überhaupt registriert hatte, dass er ihm gegolten hatte. Als sich der Gryffindor umdrehte, sah er Remus an der Wand lehnen und obwohl dieser die Hände etwas nervös hinter dem Rücken gefaltet hatte, wirkten seine blauen Augen lebhafter und vor allem fröhlicher als sonst. Das erste was Harry außerdem auffiel, war, dass Remus erneut für ihn eher untypische Kleidung trug. Der schwarze Mantel hätte von Snape stammen können und war wesentlich figurbetonter als die sonstigen braunen Mäntel. Darunter lugte der Kragen eines weißen Hemdes hervor und auch die Schuhe waren nicht die sonst üblichen braunen Treter, die Harry von Remus gewohnt war. Alles in allem machte der Mann eine ungemein stattliche Figur und Harry stellte anerkennend fest, dass ihm die neue Kleidung wesentlich besser stand. Es war nur die Frage, was Remus dazu gebracht hatte, sich so zu verändern. Harry hatte schon so oft versucht, Remus von seinem braunen „Schmuddellook“, wie Draco es einmal abfällig genannt hatte, abzubringen, jedoch ohne Erfolg. Hoffentlich waren das keine Nachwirkungen des Vollmondes, denn dann mussten sie sich ernstliche Sorgen machen. Harry merkte jedoch erst, dass er sich dem Freund seiner Eltern sehr misstrauisch näherte, als dieser leicht gequält lächelte und sagte: „Sieht es so schlimm aus? Minerva hat mich vorhin auch schon so seltsam angesehen. Dabei dachte ich immer, du würdest es begrüßen, wenn ich nicht mehr die alten Sachen trage.“ Harry wurde leicht rot um die Nasenspitze und lächelte ertappt. Dann beschloss er jedoch rundheraus zu fragen, was das zu bedeuten hatte, mit dem Wissen, dass Remus ihm nicht böse sein würde. Ihre Gespräche waren immer offen und ehrlich gewesen und das wollte Harry auch nicht ändern. „Ich frage mich eigentlich, ob dein neuer Kleidungsstil etwas mit dem letzten Vollmond zu tun hat. Du warst am Samstag nicht wirklich du selbst und das hier ist doch ein wenig ungewohnt an dir zu sehen. Aber es steht dir. Du solltest so etwas öfter tragen.“ Remus grinste erleichtert und wirkte dadurch jünger als sonst und auch das stellte Harry mit Verwunderung, aber auch mit Freude fest. „Nein, ich verwandle mich nicht gleich wieder in einen Werwolf. Komisch, Minerva hat das gleiche gefragt. Ihr solltet euch aber dran gewöhnen, denn Severus hat meine ganzen alten Sachen weggeworfen und ich hab gar keine andere Wahl, als das hier zu tragen. Ich muss sogar demnächst shoppen gehen, damit ich nicht immer Severus’ Umhänge anziehen muss.“ Harrys Augen wurden bei Remus Worten immer größer und dieser schien erst jetzt richtig zu begreifen, was er gesagt hatte, denn nun blickte er verlegen zu Boden. „Deswegen wollte ich eigentlich schon eine ganze Weile mit dir reden. Aber ich hatte nicht den Mut dazu und die letzten Tage hab ich mich nicht besonders gut gefühlt. Hättest du jetzt Zeit?“ Harry schluckte. Seine erste Vermutung hatte ihn nicht getäuscht. Es WAR Snapes Umhang, den Remus da trug. Seufzend fügte er sich in sein Schicksal. Draco hatte ihn ja gewarnt. „Ich hab Zeit. Lass uns darüber reden – über dich und ... Professor Snape.“ Harry merkte schon jetzt, dass ihn das, was nun auf ihn zukam, auf eine harte Probe stellen würde – aber er musste sich wohl an den Gedanken gewöhnen. Zu Remus’ Zimmer war es nicht weit und die beiden legten den Weg schweigend zurück. Harry war schon oft hier gewesen, seit das neue Schuljahr begonnen hatte und glücklicherweise hatte sich wenigstens hier nichts verändert. Die bequeme, sandfarbene Couch stand einträchtig mit dem etwas abgewetzten Sessel vor dem warmen Kaminfeuer. Auf den Regalen stapelten sich alte und neue Bücher und überall dazwischen standen seltsame Apparate aufgereiht. Harry ließ sich auf seinem gewohnten Platz auf dem Sofa nieder, stellte die Schultasche neben sich auf dem Boden und nahm dankbar die Teetasse von Remus entgegen. Dieser setzte sich wie immer bei ihren Gesprächen in den Sessel, nur wirkte er durch die neuere Kleidung irgendwie gelassener und ruhiger – aber auch fremder. Remus starrte schweigend ins Feuer und schien nicht so recht zu wissen, wie er beginnen sollte und so seufzte Harry innerlich auf und fragte dann: „Also Professor Snape hat deine Kleidung weggeworfen? Alles?“ Remus lächelte leicht und erinnerte sich an die Szene vom vergangenen Abend. Der Vollmond war zwar nicht anders gewesen als sonst, aber irgendwie hatte er dieses Mal wesentlich heftiger darauf reagiert und war den Sonntag auch entsprechend fertig gewesen. Das Quidditch-Spiel hatte er nur am Rande wahrgenommen und Severus war es nicht viel anders gegangen. Erst am Montag waren sie wieder halbwegs bei Kräften gewesen und durch ihren Unterricht hatten sie sich nicht so oft gesehen. Als Remus dann am Dienstag Abend erschöpft von dem langen Tag bei Severus zu ihrem täglichen Tee und Schachspiel eintraf, hatte dieser ihn ganz seltsam angesehen. Sie hatten eine Weile gespielt und der Zaubertränkemeister war Remus irgendwie abwesend vorgekommen. Ab und zu – wenn Severus dachte, der DADA-Lehrer würde es nicht merken –hatte er Remus mit einem nachdenklichen Blick beinah angestarrt und irgendwann nach dem dritten Glas Tee mit Rum hatte Remus Severus dann einfach gefragt, was denn los sei. „Ich muss immer wieder an Samstag denken. Als du sagtest, du würdest mir in diesen anderen Klamotten besser gefallen. Jetzt wo du hier in diesen abgetragenen Sachen vor mir sitzt, kann ich nicht vergessen, wie ... gut du an dem Abend ausgesehen hast.“ Remus hatte ihn verblüfft angesehen und dann gelacht. Daraufhin war Severus sauer geworden – was ja so typisch für den Vorstand des Slytherinhauses war – und hatte gefragt, was daran bitteschön komisch wäre. Remus wusste gar nicht mehr, warum sie sich dann gestritten hatten, aber irgendwie hatte es damit geendet, dass Severus all seine alten, braunen, abgewetzten Sachen herbeigezaubert und in den Kamin geworfen hatte. Erst war Remus wütend gewesen, aber dann hatte Severus ihm in die Augen gesehen und Remus erkannte die Liebe des Tränkemeisters für ihn, die der andere so gut zu verstecken versucht und doch nicht völlig verbergen konnte. Und das nächste, was Remus bewusst mitbekommen hatte, waren Severus weiche, warme Lippen auf den seinen und seine Hände um Remus’ Taille. Harry räusperte sich und Remus blinzelte kurz und lächelte dann verlegen. „Wir haben die Muggel ja auch nach Muggellondon begleitet, als wir mit ihnen einkaufen waren. Und dort haben uns Mr. Mutô und Mr. Atemu gezwungen Hemd und Hose statt der alten Anzüge anzuziehen.“ Remus überging Harrys beifälliges Nicken geflissentlich. „Jedenfalls hat Severus da am Abend gemeint, es hätte ihm gefallen – an mir meine ich. Und als ich ihm das in meinem, sagen wir, Werwolf-Modus dann an den Kopf geworfen hatte, hat er ständig dran denken müssen und na ja irgendwie hat er zugegeben, dass er findet, ich könne ruhig mehr so was tragen und müsste mich nicht hinter meinen abgetragenen Sachen verstecken.“ Remus wurde wieder leicht rot, denn eigentlich hatte er gar nicht geplant, mit Harry so genau über seine Beziehung mit Severus zu sprechen. Aber je länger sie hier saßen, desto mehr merkte der Mann, dass er wirklich jemanden brauchte, dem er sein Herz ausschütten und seine Gefühle erklären konnte. Harry erschien ihm richtig dafür, auch wenn dieser aus seiner Abneigung gegen Severus nie einen Hehl gemacht hatte und das auch auf Gegenseitigkeit beruhte. Der Tränkemeister würde ihn wütend anbrummen, wenn er wüsste, über was er hier mit seinem Fast-Patensohn sprach. Harry schüttelte kurz ungläubig den Kopf. „Und warum glaubst du mir das nie, wenn ich es dir sage? Nein, nicht so wichtig. Was du mir eigentlich sagen solltest, ist, ob du mit Severus Snape ... zusammen bist oder nicht.“ Die letzten Worte waren eher gepresst hervorgekommen und Harry schaute Remus halb an, als wolle er eine negative Antwort hören, auch wenn alles für das Gegenteil sprach. Der Mann blickte wieder ins Feuer und meinte dann schlicht: „Ja!“ Harry atmete einmal tief durch und seufzte. „Ich wurde ja gewarnt.“ Remus Kopf fuhr überrascht hoch und Harry lächelte gequält. „Draco hat euch nach dem Besuch der Winkelgasse zufällig belauscht und gehört, wie ihr euch gestritten habt und du Snapes Gefühle erahnen konntest – was nicht besonders einfach sein kann, wo ich immer dachte, der Mann hätte gar keine. Und dann war er ganz besorgt um dich nach dem Zwischenfall mit der Kahneng-Löwin.“ Harry zuckte mit den Schultern. „Draco meinte, ihr wärt mehr als nur Freunde.“ Remus nickte leicht. „Es gefällt dir nicht, das dachte ich mir. Deshalb hab ich so lang gezögert. Aber jetzt, wo Severus ...“ Kurz stockte der Professor und blickte Harry unsicher an. „Er hat gestern gesagt, das er mich liebt. Ich hätte nie gedacht, dass er das je sagen würde. Ich meine, er ist Severus Snape! Aber er sagte auch ... das er es nicht verstecken will und na ja...“ Wieder blickte Remus unsicher in die Flammen und Harry merkte deutlich, wie wichtig es dem Mann war, das der Gryffindor diese Gefühle verstand und seinen Segen dazu gab, dass Remus nun offiziell mit seinem verhassten Feind zusammen war. Und dann dachte Harry an seine Beziehung zu Draco und daran, dass es Snape wohl auch nicht leicht gefallen war, das zu akzeptieren – und das nahm er als Grundlage für seine Antwort an Remus. „Es gefällt mir nicht, dass du dir ausgerechnet Snape ... Professor Snape ausgesucht hast, aber als ich mit Draco zusammen kam, waren auch alle dagegen. Ich werde es akzeptieren, denn die Hauptsache ist, dass du glücklich bist. Du hast Sirius schon verloren und meinen Dad und meine Mum. Ich weiß, was es heißt, einsam zu sein und ich weiß, dass du immer einsam warst. Nein, ich bin der letzte, der dir dieses Glück verbieten darf und will. Allerdings werde ich Professor Snape deswegen nicht mögen. Und ich hoffe für ihn, dass er dich wirklich glücklich machen wird!“ Harrys entschlossene Worte am Ende ließen beide schmunzeln und ihre Haltung entspannte sich zusehends. „Willst du wissen, was passiert ist? Ich meine, du musst nicht, aber ich hab bemerkt, wie Hermine immer wieder gerätselt hat und vielleicht interessiert es dich.“ Harry merkte, dass das nicht der einzige Grund war, warum Remus ihm erzählen wollte, wie er und Severus sich näher gekommen waren. Der Mann brauchte schlicht und einfach jemanden der ihm zuhörte und Harry war gern bereit, diesen Part zu übernehmen. Wie oft hatte er sich mit Remus über seine Eltern und Sirius unterhalten, ganz einfach, weil der Mann der einzige war, der sie gekannt und geliebt hatte. So oft hatte Harry dem Professor sein Herz ausgeschüttet, seine Wünsche und Sehnsüchte gebeichtet und darüber waren sie zuerst zu Freunden und dann zu so etwas wie einer Familie geworden. Es war nur Recht, wenn er nun für Remus das Gleiche tat. Und wenn er ehrlich war, war Harry schon neugierig. Er hätte nie gedacht, dass Severus Snape zu Liebe fähig wäre und nun hatte Remus ihm gesagt, dass Snape es sogar ausgesprochen hatte. Dass dieser mürrische Mann Dinge wie „Ich liebe dich“ sagen könnte, hätte Harry nie auch nur in Erwägung gezogen. Wie war es also dazu gekommen, dass Remus jetzt hier saß und eine Beziehung mit diesem Mann hatte? Und so erzählte der DADA-Professor wie er am ersten Tag Snape in der großen Halle neben sich sitzen hatte und dieser vor Zorn oder Wut oder was auch immer beinahe an seinem Fleisch erstickt wäre. Als der Zaubertränkemeister dann mehrere Tage gar nicht zum Essen erschienen war, hatte Remus sich zu den Kerkern aufgemacht. Irgendwie schien die Stimmung des düsteren Zauberers etwas mit Remus zu tun zu haben, aber dieser hatte ja noch nicht einmal die Gelegenheit gehabt, Snape schief anzusehen. Während der wenigen Ordenstreffen in den letzten Monaten war Snape Remus auch nicht anders als sonst vorgekommen – er hatte den Werwolf wie immer ignoriert. Was also war nun anders? Snape hatte auf sein Klopfen erst nach einer ganzen Weile reagiert und hätte ihm dann beinahe die Tür wieder vor der Nase zugeschlagen, als er gesehen hatte, wer ihn da besuchte. Doch Remus hatte sich nicht abwimmeln lassen und war unaufgefordert an dem anderen Mann vorbei in das Zimmer getreten. Dort hatte ein Schachspiel auf einem der Tische gestanden und als Snape keine Anstalten machte, irgendetwas zu sagen oder auf Remus’ Anwesenheit zu reagieren, hatte sich der Mann hingesetzte und gefragt, ob sie eine Runde spielen würden. Erst hatte Snape nicht geantwortet, doch dann hatte er sich wortlos zu ihm gesetzt und sie spielten. Geredet hatten sie an keinem der folgenden Abende, an denen Remus kam, um endlich zu ergründen, was mit Snape los war. Nach einer Woche war Remus etwas später zu ihrem inoffiziellen Treffen gekommen. Sie machten sich nie etwas aus. Es war ein stilles Einverständnis zwischen den beiden Männern, dass Snape jeden Abend das Schachbrett und eine Karaffe Tee oder Wein hinstellte und Remus jeden Abend kam, um mit ihm zu spielen. An diesem Abend hatte Dumbledore Remus noch sprechen wollen und so war Remus später gekommen und fand einen fast gänzlich betrunkenen Snape vor, der ihn wütend anfunkelte, als er nach einem einfachen Klopfen durch die Tür trat. „Wieso kommst du erst jetzt?“, hatte Snape geschrien und Remus hatte ihn nur verdattert ansehen können. Snape hatte geschrien und getobt, etwas, was seitdem nie wieder vorgekommen und eindeutig dem Wein oder etwas Höherprozentigem geschuldet war. Und dabei hatte Remus nach und nach herausgehört, dass Snape seine Gesellschaft genossen hatte und mit der ihm eigenen Art als selbstverständlich aufgefasst hatte. Snape machte nie viel Worte und erwartete auch, dass andere keine brauchten, um seine gut versteckten Gefühle zu verstehen. Erst nach und nach hatte der Tränkemeister begriffen, dass Remus gar nichts von seinen langsam erwachten Gefühlen geahnt hatte und die allabendlichen Zusammenkünfte nur als Treffen unter Kollegen – allenfalls distanzierten Freunden – verstanden hatte. Wann diese Gefühle für Remus in dem düsteren Professor aufgetaucht waren, wusste dieser selbst nicht zu sagen. Snape hatte nur lange mit seinem Schicksal gehadert, denn wer wollte schon gern den Mann begehren, den man seit Jahren hasste und für die beschämenden Vorfälle in ihrer gemeinsamen Jugend mit verantwortlich machte. Als Remus dann so plötzlich in Hogwarts aufgetaucht war, hatte Snape seine letzte sichere Bastion okkupiert gesehen. Schlimm genug, den Mann bei den Ordenstreffen immer sehen zu müssen, aber da hatte er ja noch Hogwarts gehabt, wo er sich vor Remus verstecken konnte. Nun war der Mann auch hier im Schloss und Snape sah seinen Frieden durch seine eigenen Gefühle bedroht. Wie gesagt, Severus Snape war sehr betrunken und hatte dadurch wohl einen seiner wenigen Momente, in denen er nur auf sein Gefühl hörte. Remus hatte erst gar nicht gewusst, was er darauf sagen sollte, aber dann hatte er zugegeben, Snape noch nie wirklich gehasst zu haben. Während ihrer Schulzeit hatten sie das Pech gehabt, auf unterschiedlichen Seiten von James und Sirius zu stehen und damit war ihr weiteres Verhältnis schon früh vorherbestimmt. Doch nun lebten nur noch sie beide und auch wenn Remus Snapes Gefühle nicht erwidern konnte, sah er doch keinen Grund, die alte Fehde fortzuführen. Er hatte ihre gemeinsamen Abende im Gegenteil sehr genossen und würde dies gern beibehalten. Snape hatte darauf nicht viel erwidern können, denn irgendwann war er einfach auf dem Sofa umgekippt und eingeschlafen. Doch etwas schien angekommen zu sein, denn am nächsten Tag war der Tränkemeister aus seinen Kerkern emporgestiegen, hatte sich neben Remus an die Tafel gesetzt, obwohl einige Stühle noch frei waren und seitdem war es dabei geblieben. „In den nächsten Wochen haben wir uns abends immer getroffen, geredet, gespielt, den anderen kennen gelernt. Und irgendwie habe ich gemerkt, dass ich ihn auch mochte. Er hat mich weder gezwungen noch bedrängt. Es ist ganz allein gewachsen.“ Sekundenlang schwieg Remus und nippte an seinem Tee. Entspannt saß er in seinem Sessel, blickte Harry an und weilte doch in Gedanken in der Vergangenheit und wirkte nun endlich wieder wie der ruhige und beherrschte Mann, denn der Gryffindor so gut kannte. „Dann irgendwann hat er mir seine Animagusgestalt gezeigt. Es ist ein großer schwarzer Wolf. Und da wurde mir klar, wie sehr er mich liebt. Du weißt ja sicher, dass nur starke Magier es schaffen, überhaupt Animagi zu werden und nur die wenigsten können sich aussuchen, welche Gestalt sie am Ende darstellen. Severus hat den Wolf gewählt, um mir bei Vollmond beizustehen, so wie es einst James und Sirius taten. Und seitdem...“ Remus zuckte mit den Schultern, aber Harry wusste, was er meinte. Seitdem waren die beiden Professoren so richtig zusammen. Harrys Achtung vor Snape wuchs ein winziges Stück, denn er wusste, wie viel Training und Kraft es bedeutete, eine Animagusgestalt nach eigenem Wunsch zu perfektionieren. Er selbst hatte sehr lang dazu gebraucht. Wenn der Zaubertränkelehrer das für Remus tat, waren seine Gefühle wirklich ehrlich und Harry bemerkte erstaunt, dass er gar nichts mehr gegen diese Beziehung hatte. Remus war glücklich und auch Snape verdiente etwas Glück und Zufriedenheit im Leben, egal wie Harrys Verhältnis zu Snape war. „War er am Samstag auch mit dir draußen? Ihr saht zum Spiel beide nicht besonders gut aus.“ Remus nickte. „Ich weiß nicht, warum es diesmal so heftig war. Ich hab Severus’ Wolfsbann-Trank ganz normal genommen und trotzdem hätte der Wolf beinahe die Oberhand gewonnen. Severus hatte keinen leichten Stand und ich muss ihn ziemlich zugerichtet haben. So genau weiß ich es nicht. An den Beginn der Nacht erinnere ich mich fast gar nicht. Severus meinte, ich hätte versucht nach Hogwarts zu kommen, weil der verbliebene Rest meines Ichs instinktiv die Sicherheit des Schlosses suchte. Aber Dumbledores Werwolfzauber hätten mich nicht durchgelassen und Severus war die ganze Zeit damit beschäftigt, sich gegen mich zu verteidigen und mich gleichzeitig vom Schloss wegzudrängen. Er hätte es sicher nicht geschafft, wenn da nicht der andere Wolf gewesen wäre.“ Harry horchte auf. „Ein anderer Wolf?“ Remus nickte. „Deshalb wollte ich auch noch mit dir reden. Du weißt nicht zufällig von einem Schüler, der seine Animagus-Verwandlung geschafft hat? Ich muss ehrlich zugeben, dass ich dich und Severus Draco in Verdacht hatte, aber irgendwie spürten wir beide mit unseren ... na ja Wolfssinnen ..., dass dieser Wolf uns fremd war. Ich glaube auch nicht wirklich, dass es ein Schüler war, denn dieses Tier war so stark und das bedeutet meist auch einen mächtigen Zauberer.“ Harry überlegte kurz. „Ich verrate dir sicher nicht zuviel, wenn ich zugebe, dass Draco und ich Animagi sind.“ Remus nickte nur. Einem fähigen Zauberer wie dem DADA-Professor sollte so etwas auch nicht verborgen bleiben. Mit einem unbehaglichen Gefühl dachte Harry daran, dass auch Dumbledore wissen musste, dass Harry und sein Freund diesen schweren Zauber gemeistert hatten – auch wenn sie alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatten, um sicher zu gehen, dass niemand ihre Übungen bemerkte. Aber der junge Mann tröstete sich mit dem Wissen, dass der Schulleiter ihre Gestalten nicht kannte und Harry würde diese nicht einmal Remus verraten. Doch der ältere Mann fragte auch nicht danach und so fuhr Harry fort: „Wenn einer der Schüler Animagus-Zauber durchgeführt hätte, der weniger von Versteckzaubern versteht als Draco – und das ist praktisch jeder hier in Hogwarts – dann wüssten du und Dumbledore davon. Und ich traue es abgesehen von einigen Ravenclaws nur noch Hermine zu und von ihr weiß ich, dass sie es nicht kann. Und wenn doch, hätte sie bestimmt keinen Wolf als Tier gewählt.“ Remus lachte leise: „Stimmt, Hermine ist eher ein zahmes Kätzchen.“ Harry stimmte in das Lachen ein, meinte aber: „Eher ein kratzbürstiges Kätzchen. Sie kann ganz schön wild und dickköpfig sein, wenn sie will. Aber etwas niedliches, verspieltes passt trotzdem eher zu ihr.“ Kurz dachte Harry nach. „Sie würde ein gutes Pilah abgeben.“ Remus kannte Hagrids momentanen Unterrichtsstoff und lachte wieder leise. Dann kehrte er aber zu ihrem ursprünglichen Thema zurück: „Dann war es vielleicht ein echter Wolf? Aber das würde sein Verhalten auch nicht erklären. Er hat mich beruhigt und Severus geholfen den Werwolf in Schach zu halten und als wir am Morgen im Wald aufwachten, war er noch immer da. Ich hatte mich schon zurückverwandelt und Severus folgte meinem Beispiel. Der Wolf hat sich davon weder erschrecken lassen noch fühlte er sich bedroht. Er hat sich von uns verabschiedet und ist dann im Wald verschwunden. Vielleicht war er ein magisches Tier. Ich dachte zwar, ich kenne alle...“ Nachdenklich blickte Remus zu seinen Büchern hinüber, hob dann aber resignierend die Schultern. Sicher hatte er schon alles auf der Suche nach Antworten durchgesucht. Und Harry konnte ihm da auch nicht helfen. Es war aber schon seltsam. Nach einiger Zeit des Schweigens drehte sich ihr Gespräch um anderen Dingen, doch die Ahnung von etwas Geheimnisvollem nahe Hogwarts blieb und Harry und auch Remus konnten sich beide – unabhängig voneinander – nicht helfen, sondern mussten immer wieder an diese beiden so seltsamen Muggel denken. +-+-+-+-+-+-+ Besagte Muggel, um die sich Harrys und Remus’ Gedanken unter anderem drehten, verbrachten die Nacht recht unruhig, denn beide konnten angesichts der möglichen Enthüllungen des nächsten Morgens nur schlecht schlafen. So war es auch kein Wunder, dass Yami und Yuugi schon gegen 5 Uhr früh über die regennassen Wiesen der Ländereien von Hogwarts schlenderten und den Sonnenaufgang kaum erwarten konnten. Im Rätsel der Kartusche war von der Zeit des grauen Überganges die Rede gewesen und das war auch mit das erste Puzzleteil, welches Yami und Yuugi gefunden hatten. Und wie Yami schon richtig festgestellt hatte, war es höchstwahrscheinlich, dass bei einem Rätsel der alten Ägypter damit die Morgenstunde gemeint war. Daher setzten sich beide nun auf einen großen Stein am See und warteten auf das erste Licht des neuen Tages. Fröstelnd zog Yami den dunklen Ledermantel enger um seine Schultern, um sich vor der herbstlichen Kälte zu schützen, die vor einer Woche urplötzlich Einzug gehalten hatte. Sie sprachen nicht viel in der Zeit, in der sie warteten, denn sie waren sicher, dass ihre Schlussfolgerungen stimmten. Nach und nach erwachte der Wald, die ersten großen Vögel stiegen von ihren Schlafplätzen in den immer heller werdenden Himmel auf und auch der Krake reckte vereinzelt einen Arm aus dem ruhigen Wasser. Die Stimmen des Waldes wurden lauter, je heller es wurde, als wollten sie das Vorhaben Yamis und Yuugis musikalisch untermalen und dann endlich tauchten die ersten blutroten Sonnenstrahlen im Nordosten auf. Die Schlucht, in der sich der See befand, erstreckte sich gerade in Ost-Westrichtung, so dass kein Berg oder Baum die Sicht auf den Sonnenaufgang versperrte und einige Augenblicke genossen die beiden jungen Männer nur den atemberaubenden Anblick. Doch der Himmel war nicht völlig wolkenfrei und es würde nicht lang dauern, bis der nun schon halb aufgestiegene Sonnenball hinter den dunklen Herbstwolken wieder verschwand. Also erhoben sich Yami und Yuugi synchron und der ehemalige Pharao griff in die Schatten und holte die Kartusche hervor. Als das Sonnenlicht auf den Turmalin fiel, leuchtete er geheimnisvoll rot und schwarz, als wolle er sein Inneres um jeden Preis bewahren. Yuugi dachte wieder an den letzten Teil des Rätsels. »Die Dunkelheit ist das Gefängnis des Lichts. Bis das Siegel gebrochen wird, sind beide nie getrennt.« Genau das war die Kartusche. Ein Gefängnis aus dunklem, leuchtenden Gestein, der durch seine Schönheit die Sinne verzaubern und von dem Wissen im Inneren – dem Licht – ablenkte. Nur wer das Siegel brach, indem er das Rätsel löste, konnte die Wahrheit erfahren. Doch der junge Mann konnte sich nicht helfen. Er hatte einfach das Gefühl, dass gerade hinter diesen Sätzen noch etwas anderes verborgen war – etwas, was besonders mit ihm und seinem Geliebten zusammen hing. Doch Yami und er waren nicht dahinter gekommen. Sie hofften, dass sie durch das Innere der Kartusche erfahren würden, was ihnen jetzt noch verborgen blieb. Daher warteten beide auch nicht mehr länger. Yami hielt die Kartusche noch immer in der Hand und drehte sich mit dem Rücken zur aufgehenden Sonne. Yuugi folgte seinem Beispiel und blickte gespannt auf den Gegenstand in der Hand seines zweiten Ichs, die nun im Schatten ihrer beiden Körper lag. Erst geschah gar nichts und Yami und Yuugi überlegten unabhängig voneinander, ob sie irgendeinen Spruch sagen, das Rätsel laut wiederholen oder einfach ihre Magie einsetzen mussten, um der Kartusche zu beweisen, dass sie zur richtigen Zeit auf die richtige Weise das Rätsel lösten. Doch das war gar nicht nötig, denn plötzlich strahlte die Kartusche von innen in einem hellen warmen Licht. Die kristallenen Außenwände des Objekts wurden transparent und die Schrift aus Elektrum leuchtete so hell, als würde sie brennen. Dann ertönte ein leichtes Klicken und plötzlich war der ganze Spuk vorbei. Gleichzeitig mit dem Verlöschen des Lichtes aus dem Inneren der Kartusche verschwand auch die Sonne hinter den Wolken und es wurde merklich dunkler am Ufer des Sees. Verwirrt starrte Yuugi auf den Gegenstand in Yamis Hand. Dann blinzelte er ein Mal und lachte dann etwas unsicher. Auch Yami wirkte etwas durcheinander und ließ die Hand leicht sinken. „Irgendwie hab ich mir das Ganze anders vorgestellt. Spektakulärer, größer...“ Yuugi blickte seinen Geliebten etwas ratlos an. Dieser nickte. „Es fing ja auch so an. Aber nur ein Klick und schon ist es auf? Ich hatte mindestens eine Götterstimme erwartet. Oder wenigstens ein Rauchwölkchen oder...“ Hilflos hob Yami die Schultern und hob dann wieder die Hand mit der Kartusche. Tatsächlich war die Rückseite mit der Inschrift etwa einen Zentimeter nach oben verschoben, so dass man etwas von dem dunklen Inneren der Kartusche erahnen konnte. Aber das war auch alles. Yami und Yuugi setzten sich wieder auf den Stein, und blickten sich erneut an. Dann lächelten beide etwas verlegen. „Wir sind wohl zu sehr von unseren Duellen und Kämpfen verwöhnt. Die Erschaffer dieses Artefaktes konnten ja nicht ahnen, das ein ehemaliger Pharao und ein mehrfacher Weltenretter diejenigen sein würden, die ihr Rätsel lösen könnten. Yuugi nickte leicht und meinte dann mit Humor in der Stimme: „Aber der Leuchteffekt war doch schon mal nicht schlecht. Und eigentlich sollte ja auch nicht das Äußere wichtig sein. Worauf es ankommt, ist das „Licht“ im Inneren der Kartusche. Also mach endlich auf und lass dich von der Weisheit deiner Ahnen erleuchten.“ Yami antwortete nicht, lächelte aber leicht über ihre geistige Verbindung und klappte dann entschlossen die Rückseite der Kartusche auf. Sie hatten eine Schriftrolle oder etwas Ähnliches erwartet, wurden aber enttäuscht. Die Kartusche war leer. Doch als Yami seine Hand leicht bewegte, entdeckte er ein Leuchten auf der Innenseite des Kristalles und auch Yuugi hatte es gesehen und beugte sich leicht vor. Seine ausgestreckte Hand berührte die Kartusche und eine der Seiten klappte auseinander. Darauf waren im schwachen Tageslicht dunkle Symbole fast nur zu erahnen und Yami und Yuugi kniffen die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können. Bald schon hatten sie das System durchschaut. Die Kartusche ließ sich komplett aufklappen und die vier Seitenwände waren über und über mit Schriftzeichen aus dunklem Holz verziert, während nur die Deck- und Bodenplatte ausgespart blieben. Es waren dieselben ägyptische Zeichen, wie auf der Außenseite, die vielleicht einen Millimeter über den kristallenen Untergrund herausragten und sehr fein gearbeitet waren. Die Leserichtung entsprach der Reihenfolge, in der die einzelnen Seiten zusammengefügt werden mussten, um wieder eine geschlossene Kartusche zu ergeben. Der Dialekt war der gleiche, wie auf der Vorderseite und schon jetzt entdeckten die beiden Duellanten das eine oder andere Wort, was sie übersetzen konnten. Aber beiden war klar, dass sie hier noch ein ganzes Stück Arbeit vor sich hatten. Seufzend lehnte sich Yuugi nach einer halben Stunde zurück. „Nichts mit: ‚Hallo Freunde. Dies ist ein wichtiger Zauberspruch mit dem ihr eure Feinde zu Tode kitzeln könnt. Folgt diesen Anweisungen...’ Jetzt müssen wir wieder rätseln.“ Yami lachte leicht und verbarg die geöffnete Kartusche wieder in den Schatten. „Als ob dir das Puzzlelösen keinen Spaß machen würde... Ich kann aus Erfahrung berichten, dass du ein sehr begeisterter und guter Puzzler bist.“ Yuugi grinste leicht, streckte sich dann und sprang auf die Füße. „Stimmt. Aber ich hätte schon gern etwas Handfesteres gehabt, wenn wir schon so zeitig aufstehen müssen, um dieses Rätsel zu lösen. Außerdem wollte ich Odion heute Nacht davon berichten. Und Isis ist sicher auch neugierig.“ Yami stand nun ebenfalls auf und warf einen Blick auf das Schloss. „Sie müssen halt warten. Außerdem haben wir jetzt eh keine Zeit mehr. Der Unterricht fängt bald an und ich für meinen Teil hab Hunger – und Kaffeedurst.“ Yuugis Augen leuchteten auf, als er das Wort Kaffee hörte und beeilte sich, seinem Geliebten hinauf zum Schloss zu folgen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)